Duisburg (dpa) – Kurz vor dem Ende geht der Blick noch mal zurück. Auch bei Alexandra Popp. «Ich bin als kleines Mädchen ohne Körperspannung und mit schlottrigen Knien auf den Platz gelaufen.» So hat es die 33 Jahre alte Fußballerin vor ein paar Tagen erzählt, als sie auf ihr erstes Länderspiel zu sprechen kam. 3:0 am 17. Februar 2010 gegen Nordkorea. Lange her.
Über 14 Jahre später, an diesem Montag (18.10/ZDF) gegen Australien, tritt Popp nun von der großen Bühne ab – als gereifte Persönlichkeit, unumstrittene Kapitänin und wohl populärste Fußballerin der DFB-Geschichte. «Ich habe mit ganz viel Stolz und Ehre den Adler immer Tag für Tag und Spiel für Spiel auf der Brust getragen», sagte Popp.
Tränen könnten viele fließen, wenn nach dann 145 Spielen endgültig Schluss ist im Nationaltrikot. In Popp geht mehr als nur eine 67-Tore-Stürmerin. Er habe mitbekommen in seinem Umfeld, «dass viele Mädchen wegen Alex das Fußballspielen angefangen haben», sagte Neu-Bundestrainer Christian Wück. Popp habe Menschen berührt, deshalb habe sie unabhängig von sportlichen Erfolgen «sehr, sehr viel richtig gemacht».
Antreiberin, Meinungsführerin, Medienprofi. «Sie hat die Öffentlichkeit nicht gescheut und hat auch immer das Wort ergriffen, um Standards zu pushen, um etwas zu verändern», sagt Almuth Schult in der ARD-Doku «Ende Legende» über die geborene Wittenerin. «Mit ihrem Charakter, mit ihrer Spielweise, mit ihrer Wucht» sei sie «ein Riesenverlust».
Stets flexibel, stets zu Diensten
Ex-Bundestrainer Horst Hrubesch, der mit Popp & Co. im Sommer Olympia-Bronze holte, sieht es ähnlich. «Sie ist eine der überragenden Kopfballspielerinnen dieser Erde», meint der 73-Jährige, einst selbst Kopfballungeheuer. «Und sie spielt halt für die Mannschaft. Und das ist der entscheidende Faktor. Dass sie sich für nix zu schade ist, auch Drecksarbeit macht.» Im Sturm, auf der Sechs, im linken Mittelfeld – «Poppi», wie sie viele nennen, kann alles.
Dass ihr letztes Länderspiel wie schon das erste gegen Nordkorea in Duisburg stattfindet, ist für sie als «Fußballromantikerin» ein großes Glück: «Es gibt nichts Schöneres, dort das Ganze zu beenden, wo es auch angefangen hat.» 2008 debütiert Popp für den FCR Duisburg als 17-Jährige in der Bundesliga, 2012 geht’s weiter nach Wolfsburg. Sieben deutsche Meisterschaften folgen, dreimal die Auszeichnung als Fußballerin des Jahres. Und zur Tierpflegerin lässt sie sich auch noch ausbilden.
Doch nicht alles gelingt. Zu Popps intensivem Spielstil gehören die Leiden, zahlreich wie vielschichtig, von Meniskusriss bis Knorpelschaden. «Ich habe mit meiner Art, Fußball zu spielen, die nicht gerade sanft ist, einen hohen Preis bezahlt», sagt sie. Nach einem 90-Minuten-Einsatz könne sie kaum noch auftreten. Und wenn sie dieser Tage aufsteht, dann mit Schmerzen wegen einer Fußverletzung. Jetzt aufzuhören im DFB-Team sei auch deshalb die richtige Entscheidung.
Sternstunde gegen Frankreich
Verletzungsbedingt verpasste Popp den EM-Titel 2013, ebenso das EM-Turnier 2017. Immer wieder kehrt sie zurück, arbeitet hart in der Reha, macht eben weiter. Bodenständig, gewissenhaft. Und belohnt sich. 2016 Olympia-Gold in Rio, 2022 EM-Vize in England. Das 2:1 im Halbfinale gegen Frankreich: Ein reines Popp-Spiel, vielleicht ihr bestes im Nationalteam, garniert mit zwei Toren. «Das, was sie zum Frühstück hat und zum Mittagessen, hätte ich auch gerne», sagt Mitspielerin Lena Oberdorf damals.
Dann das Finale gegen England: ein reines Popp-Drama. Der Oberschenkel zwickt beim Aufwärmen, die Kapitänin fällt aus, Tränen fließen. Über 17 Millionen TV-Zuschauer leiden mit, Deutschland verliert 1:2 nach Verlängerung. Popps Popularität erreicht dafür neue Höhen, sie ist nun auch bei TV-Shows dabei, präsentiert sich eloquent und schlagfertig.
Bei anderen großen Turnieren, speziell Weltmeisterschaften, ist weniger Lametta. 2011 beim Heim-Turnier und 2019 in Frankreich kommt das enttäuschende Viertelfinal-Aus trotz großer Ambitionen. 2023 der blamable wie historische K.o. nach der Vorrunde – obwohl Popp in drei Spielen viermal trifft.
Der Rücktritt lockte, wurde aber vertagt. Bis vor gut einem Monat. Das Feuer sei «nun fast ausgebrannt», erklärte Popp da. Einmal will sie es noch entfachen im Trikot mit dem Adler drauf, die Emotionen und die Zuneigung aufsaugen. Dort, wo alles begann.