London (dpa) – Eine erste historische Marke kann Christian Wück schon in seinem ersten Spiel als neuer Bundestrainer der deutschen Fußballerinnen setzen – allerdings keine positive. Gewinnt der 51-Jährige mit der DFB-Elf an diesem Freitag (20.30 Uhr/ARD) im Londoner Wembley-Stadion die Testpartie gegen Europameister England nicht, wäre er der erste DFB-Coach ohne Auftaktsieg. Seine sechs Vorgängerinnen und Vorgänger starteten oft im Hurra-Stil in ihre Amtszeit. Horst Hrubesch sogar zweimal. Ein Überblick:
Gero Bisanz (von 1982 bis 1996 im Amt): Deutschland gegen die Schweiz lautet das erste offizielle Länderspiel einer Frauen-Auswahl des DFB, als Cheftrainer steht am 10. November 1982 Gero Bisanz an der Seitenlinie. Vor 5000 Zuschauern sieht er in Koblenz einen überlegenen 5:1-Sieg. «Sie lag quer in der Luft, wie das Klaus Fischer so schön kann», schrieb die «Bild» danach über 1:0-Torschützin Doris Kresimon. Die eingewechselte Silvia Neid trifft doppelt. Ein guter Auftakt. 1989 gewinnt der 2014 gestorbene Bisanz den ersten großen Titel, als Prämie für den EM-Triumph erhalten die Spielerinnen ein Kaffeeservice. Zwei weitere EM-Titel folgen 1991 und 1995. Bisanz‘ Bilanz in 127 Spielen: 83 Siege, 17 Unentschieden, 27 Niederlagen.
Elf Wechsel zur Pause – mehr als Beckenbauer schaffte
Tina Theune (1996 bis 2005): Auf Bisanz folgt dessen langjährige Assistentin Tina Theune. Als Chefin steigt sie am 27. August 1996 in Lichtenvoorde mit einem 3:0 gegen die Niederlande ein. Kurios: Zum Einsatz kommt das komplette 22er-Aufgebot. In Halbzeit eins dürfen die etablierten Kräfte ran, nach der Pause die jüngeren. Elf Wechsel schaffte nicht mal Franz Beckenbauer (1990 gegen Dänemark «nur» zehn). Die Arbeit der heute 70-Jährigen schmücken am Ende ihrer Amtszeit zudem drei EM-Titel (1997, 2001, 2005) und als Krönung der erste WM-Triumph 2003 durch Nia Künzers Golden Goal im Finale gegen Schweden (2:1). Bilanz in 134 Spielen: 92 Siege, 18 Unentschieden, 24 Niederlagen.
Silvia Neid (2005 bis 2016): In Ex-Spielerin Neid übernimmt erneut die vorherige Assistentin den Hauptjob. Den amtierenden Welt- und Europameister coacht Neid in Vancouver am 1. September 2005 zu einem 3:1 gegen Kanada. «Insgesamt bin ich zufrieden mit dem Auftritt, auch wenn der Sieg hart erkämpft war», resümierte die inzwischen 60-Jährige nach den Toren von Kerstin Garefrekes, Petry Wimbersky und Conny Pohlers. In den Folgejahren steigt die Zufriedenheit: Neid holt den WM-Pokal (2007), zwei EM-Titel (2009, 2013) sowie Olympia-Gold zum Abschied 2016. Großer Wermutstropfen: das Viertelfinal-Aus bei der Heim-WM 2011. Bilanz in 170 Spielen: 126 Siege, 22 Unentschieden, 22 Niederlagen.
«Ahnungs- und Respektlosigkeit gegenüber dem Frauenfußball»
Steffi Jones (2016 bis 2018): 4:0 heißt es am 16. September 2016 im EM-Quali-Spiel in Moskau gegen Russland, doch nicht alles ist gut. «In der zweiten Hälfte haben wir den Faden verloren. Damit bin ich nicht so zufrieden», kritisierte die neue Bundestrainerin Steffi Jones. Der Faden bleibt unauffindbar. 2017 scheitert Deutschland so früh wie noch nie bei einer EM (1:2 im Viertelfinale gegen Dänemark), 2018 ist gar die Qualifikation für die WM in Gefahr – Jones muss gehen. Nach nur 18 Monaten. Ein Novum auf dieser Position. Dem entspricht das Presseecho für die inzwischen 51-Jährige und den Verband. «Bereits ihre Ernennung zur Bundestrainerin war ein Ausdruck der Ahnungs- und Respektlosigkeit gegenüber dem Frauenfußball», kommentiert etwa die «Süddeutsche Zeitung». Bilanz in 22 Spielen: 13 Siege, 4 Unentschieden, 5 Niederlagen.
Horst Hrubesch (2018): Auf Jones folgt Hrubesch, prompt stimmt die Richtung wieder. Zum Start gibt’s beim WM-Quali-Spiel in Halle ein 4:0 gegen Tschechien. 4564 Fans sehen einen Viererpack der damaligen Essenerin Lea Schüller, inzwischen beim FC Bayern angestellt. Hrubeschs Erfolgsrezept: «Einfach Fußball spielen.» Bilanz in 8 Spielen: 7 Siege, 1 Unentschieden.
Tiefpunkt unter «MVT»
Martina Voss-Tecklenburg (2019 bis 2023): Auch die zuvor für die Schweizer Fußballerinnen verantwortliche Voss-Tecklenburg profitiert von Schüllers Qualitäten. Am 28. Februar 2019 in Laval reicht ein Tor der Stürmerin zum 1:0-Sieg im Test bei WM-Gastgeber Frankreich. Erstmals nach ihrer Lungenembolie im Jahr zuvor zieht Regisseurin Dzsenifer Marozsán wieder die Fäden im deutschen Mittelfeld. Ein paar Monate später die WM-Ernüchterung: Viertelfinal-Aus gegen Schweden (1:2). 2022 gelingt «MVT» fast der große Coup, nur England ist im EM-Finale von Wembley (2:1 n.V.) besser. Der Tiefpunkt: das WM-Desaster 2023, Aus in der Vorrunde. Kurz darauf meldet sich Voss-Tecklenburg krank, im November wird ihr Vertrag mit dem DFB aufgelöst. Bilanz in 57 Spielen: 41 Siege, 5 Siege, 11 Niederlagen.
Horst Hrubesch (2023 bis 2024): Wieder übernimmt Hrubesch als Interim, wieder liefert er: 5:1-Sieg gegen Wales am 27. Oktober 2023 in Sinsheim, Schüller trifft doppelt. Drei Punkte, die wichtig sind für die Olympia-Quali. Hrubesch fiebert fast die gesamte Spielzeit stehend mit: «Ich habe gesagt, die Sitze sind da so niedrig – komm‘ ich dann immer so schlecht raus, wenn ich mich da hinsetze», erklärte er hinterher. Der Einsatz lohnt sich. Mit 73 Jahren führt Hrubesch das Team zu Olympia nach Frankreich, wo das Team im August Bonze holt. Bilanz in 18 Spielen: 12 Siege, 2 Unentschieden, 4 Niederlagen. Die Nachfolge hat der Verband bereits etliche Monate zuvor geklärt: Christian Wück soll es nun richten.