Madrid (dpa) – Am Ende einer «unvergesslichen Woche» genoss Hansi Flick einen der größten Siege seiner Trainerkarriere ganz bescheiden im Hintergrund. Die Bühne auf den Jubelfotos in der Kabine nach dem 4:0-Triumph des FC Barcelona im Clásico bei Erzrivale Real Madrid überließ der Fußball-Lehrer bereitwillig Robert Lewandowski und Co. Auch seinen aufgebrachten Trainerkollegen Carlo Ancelotti wusste Flick nach dem etwas zu forschen Auftritt seines Assistenten Marcus Sorg schnell zu besänftigen.
Flick lieferte im Madrider Estadio Bernabeu nur drei Tage nach der 4:1-Show über seinen Ex-Club FC Bayern ein weiteres Meisterstück ab und feierte den Triumph ganz stilvoll. Ob es die glücklichste Woche seiner Trainerkarriere war, wollte Flick nicht verraten. «Ich bin immer glücklich, bei Barça zu arbeiten und in Barcelona zu leben. Es ist ein neuer Teil meines Lebens», sagte der Coach.
Welch ein erstaunliches Trainer-Comeback, nachdem er vor etwas mehr als einem Jahr als Bundestrainer krachend gescheitert war und sein Ruf in Deutschland schwer gelitten hatte. Entsprechend wurde er von der spanischen Presse – speziell in Barcelona – gefeiert. «Flicks Barça demütigt Real Madrid und vollendet eine unvergessliche Woche. Bei Barça hat sich etwas verändert und es scheint vor allem klar zu sein, dass der Schlüssel auf der Bank liegt. Hansi Flick hat nicht nur im Verein, sondern im europäischen und spanischen Fußball ein wahres Erdbeben ausgelöst», schrieb die Zeitung «Sport» und feierte Flicks «Fußball total».
Neues Wohlfühlklima unter Flick
In nur wenigen Monaten hat Flick den stolzen katalanischen Club, der scheinbar abgehängt vom Champions-League-Seriensieger Real Madrid war, aus der Depression geholt. Mit einer Mannschaft, die auch aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten bis auf den Ex-Leipziger Dani Olmo kaum verstärkt worden war, während sich Real mal eben Starstürmer Kylian Mbappé leistete. «Wir müssen eine Atmosphäre aufbauen, in der die Spieler ihre Qualität zeigen können. Die Atmosphäre im Verein und in der Mannschaft ist sehr gut», beschrieb Flick seine Erfolgsformel.
Seine Spieler danken es ihm, allen voran Lewandowski. Der polnische Nationalspieler trifft wieder wie zu besten Bayern-Zeiten, war auch in Madrid mit den ersten beiden Toren der Matchwinner. Schon 17 Pflichtspiel-Tore hat der einstige Weltfußballer in dieser Saison erzielt. «Ich fühle mich sehr gut, aber nicht nur mir geht es gut: Als Mannschaft spielen wir sehr gut», äußerte sich Lewandowski über das Wohlfühlklima unter Flick. Alles erinnert fast schon ein wenig an das Super-Jahr der Bayern 2020, als die Münchner am Ende sechs Titel abräumten.
So weit ist es noch nicht, wenngleich der Vorsprung in der Meisterschaft nach zehn Siegen in elf Spielen mit sechs Zählern vor Real schon komfortabel erscheint. Ein Sieg im ersten Clásico im Stadion des großen Rivalen war übrigens letztmals Terry Venables 1984 geglückt (3:0). Und mit vier Toren Unterschied im Clásico-Debüt? Das gelang zuletzt dem österreichischen Trainer Richard Kohn 1926 mit Barça.
Ancelotti sauer auf Flick-Assistent Sorg
Kein Wunder, dass die Emotionen auf der Bank der Katalanen überschlugen. Flick war es schon ein wenig unangenehm, dass sein Co-Trainer Sorg etwas zu euphorisch jubelte, was Maestro Ancelotti gar nicht gefiel. Der Italiener richtete mit erhobenem Zeigefinger einige deutliche Worte an Sorg, wie auf den TV-Bildern zu sehen ist. «Mit Flick gab es kein Problem, aber einer seiner Assistenten hat sich bei den Feierlichkeiten nicht wie ein Gentleman verhalten. Ich habe ihm das gesagt und Flick hat dem zugestimmt», sagte Ancelotti.
Sorg war im September 2023 zusammen mit Flick nach der 1:4-Schmach der deutschen Nationalelf gegen Japan freigestellt worden. Die erfolgreiche EM unter Julian Nagelsmann mit dem unglücklichen Viertelfinal-K.o. legte einen weiteren Schatten auf die erfolglose Ära Flick, der danach auch bei der Münchner Trainersuche außen vor war. «Er hatte eine unheimlich schwere Zeit. Er wurde enorm kritisiert und auch diffamiert in Deutschland. Das hat mir wahnsinnig weh getan. Ich weiß nicht, ob ich das ausgehalten hätte», sagte der langjährige Freiburg-Trainer Christian Streich dem Bayerischen Rundfunk.
Bei aller Euphorie um Barça gab es aber auch negative Begleiterscheinungen. Jungstar Lamine Yamal wurde offenbar rassistisch beleidigt. Das berichteten mehrere spanische Medien und beziehen sich dabei auf Videos in den sozialen Medien. Die Beleidigungen ereigneten sich demnach im Anschluss an das dritte Tor, als Europameister Yamal für die Vorentscheidung sorgte und den Treffer vor den Real-Fans bejubelte. So wird der Clásico zumindest bei den Disziplinarkommissionen noch ein Nachspiel haben.