London (dpa) – Thomas Tuchel muss in seinem neuen Job als englischer Fußball-Nationaltrainer bei einigen Experten noch Überzeugungsarbeit leisten. «Ich denke, wir schaden uns selbst, wenn wir akzeptieren, dass Thomas Tuchel besser ist, besser als alle anderen englischen Trainer», sagte der 85-malige Nationalspieler Gary Neville bei Sky Sports und verwies darauf, dass Eddie Howe oder Graham Potter mit ihren Clubs große Erfolge erzielt hätten. «Ich glaube schon, dass man hervorragende englische Trainer hätte ernennen können.»
Tuchel tritt zum 1. Januar seinen neuen Posten an und will die Three Lions bei der WM 2026 zum Titel führen. Er ist der dritte ausländische Coach beim englischen Team nach dem Schweden Sven-Göran Eriksson und dem Italiener Fabio Capello.
Carragher: «Kommt mir nicht richtig vor»
Ähnlich wie Neville sieht es auch Ex-Nationalspieler Jamie Carragher. «Wenn ich jetzt an England denke und wir so kurz davor stehen, ein großes Turnier zu gewinnen. Es wurde so viel gute Arbeit in die Ausbildung dieser Spieler gesteckt, dann kommt es mir einfach nicht richtig vor, einen ausländischen Trainer zu holen», sagte der langjährige Liverpool-Profi.
Was die Nationalelf vom Vereinsfußball unterscheide, sei die Tatsache, dass es Menschen aus einem Land seien. «Es geht nicht nur um England. Ich glaube nicht, dass Italien das tun sollte, ich glaube nicht, dass Deutschland das tun sollte, ich denke nicht, dass Frankreich das tun sollte. Portugal hat es im Moment mit Roberto Martinez, was ich seltsam finde», ergänzte Carragher, der gleichwohl Tuchel als «brillanten Trainer» ansieht. Auch der frühere Stürmerstar ist der Meinung, «dass der Trainer einer Nationalmannschaft auch aus dem Land selbst kommen sollte», wie der 63-Jährige im Podcast «The Rest Is Football» sagte.
Englisches Coaching in der Krise?
Laut Neville stecke das englische Coaching «in der Klemme». Englische Trainer seien am wenigsten respektiert von den großen Nationen. «Spanische, deutsche, italienische und portugiesische Trainer sind für ihren Spielstil, für ihre Philosophie bekannt.»
Der frühere Nationalverteidiger Stuart Pearce hätte ebenfalls einen englischen Coach als Nachfolger von Gareth Southgate vorgezogen, richtet nun aber große Erwartungen an Tuchel. «Ich werde ihn jetzt danach beurteilen, was er für den englischen Fußball tut, und manchmal geht das über die Ergebnisse hinaus. Ich möchte, dass er mir zeigt, dass er ein echtes Interesse daran hat, den englischen Fußball und englische Trainer zu entwickeln», sagte Pearce, der 1990 im Halbfinale gegen Deutschland im Elfmeterschießen vom Punkt gescheitert war, der Zeitung «Mirror».
Auch wenn Tuchel nur einen Vertrag für 18 Monate unterschrieben hat, solle er echtes Interesse zeigen. «Der Job ist größer als die Auswahl und das Trainieren einer Vereinsmannschaft», so Pearce.