London (dpa) – An diesem Freitag beginnt in Deutschland die letzte Fußball-EM in der Amtszeit des UEFA-Präsidenten Aleksander Ceferin. An der Spitze des europäischen Verbands erlebt der 56 Jahre alte Slowene zahlreiche Krisen wie die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg.
Über Vorfreude und auch Sorgen mit Blick auf die EM spricht er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Die vergangenen drei Welt- und Europameisterschaften fanden erst in Russland, dann während der Corona-Pandemie und zuletzt als Winter-WM unter viel kritisierten Menschenrechts-Bedingungen statt. Freuen Sie sich mal wieder auf ein gutes, altes und hoffentlich stimmungsvolles Fußball-Turnier?
Aleksander Ceferin: Ja. Die vergangene EM in elf Ländern war ja schon in sich kompliziert. Und ich denke nicht, dass so ein Turnier in der Zukunft noch einmal stattfinden sollte. Es ist wichtig, dass die Fans das Gastgeberland kennen, die Leute kennen und die Kultur kennen. Eine EM in elf Ländern – das war ermüdend und auch teuer. Und dann mussten wir sie auch noch mitten in Corona-Zeiten ausrichten. Jetzt haben wir endlich wieder ein klassisches Fußball-Turnier in einem Land mit vielen Vorzügen. Die Infrastruktur ist gut. Die Deutschen sind immer gute Organisatoren. Und es ist leicht, nach Deutschland zu kommen. Ich denke, es wird ein Fußball-Fest! Und das Wichtigste ist die Sicherheit.
Frage: Sie sagten schon zu Beginn des Jahres: Die Sicherheit bei dieser EM sei Ihre «größte Sorge». Was befürchten Sie konkret?
Ceferin: Wir haben keine konkreten Sicherheitsbedenken. Aber das Problem ist für mich die geopolitische Situation in der Welt. Mehr und mehr Gewalt. Mehr und mehr Aggression. Die Weltlage ist nicht ideal. Aber ich möchte nicht zu viel darüber sprechen. Ein so großes Event wie eine Europameisterschaft zu organisieren, ist prinzipiell eine Herausforderung. Da ist es für uns als UEFA natürlich einfacher, nicht mehr mit mehreren Ländern zusammenzuarbeiten so wie vor drei Jahren. Sondern nur mit einem Ministerium und einem Sicherheitsapparat. Und das klappt mit den deutschen Behörden sehr gut. Ich habe die Innenministerin Nancy Faeser in Berlin getroffen und davor schon mehrere Male mit ihr gesprochen. Alle arbeiten gut zusammen.
Frage: Der Slogan dieser EM ist: «United by football» – Vereint durch Fußball. Ist das in diesen Zeiten eines Krieges und der politischen Konflikte auf dem Kontinent eine Anmaßung – oder ist diese EM gerade jetzt auch eine Chance?
Ceferin: Fußball ist eines der wenigen Dinge, die Menschen noch zusammenbringen kann. Da bin ich mir wirklich sicher. Die Leute sind patriotisch und enthusiastisch, wenn sie Sport-Ereignisse schauen. Ansonsten kritisieren wir doch alles, überall und zu jeder Zeit (lacht). Ich glaube wirklich, dass diese EM ein Festival der Freundschaft werden kann. Irgendjemand hat mir mal gesagt: Wenn man die Europäische Union auf ein anderes Level bringen will, müsste man ein gemeinsames Fußball-Team der EU aufstellen. Fußball ist mit großem Abstand die Sportart Nummer eins in Europa. Wir haben 52 Millionen Anfragen für 2,7 Millionen Tickets bekommen. Dieses Turnier hat eine Kraft.
Frage: Was sind Ihre persönlichen Pläne für die EM?
Ceferin: Ich habe mir verschiedene Spielorte und verschiedene Teams ausgesucht, die ich mir anschauen will. So werde ich alles sehen. Die Ausnahme ist mein Heimatland Slowenien. Von meiner Mannschaft schaue ich mir alle drei Gruppenspiele an. Weil ich befürchte, dass wir danach nach Hause fahren müssen (lacht). Aber Spaß beiseite: Ich bin sehr stolz auf den bisherigen Erfolg der slowenischen Mannschaft und freue mich darauf, sie spielen zu sehen.
Frage: Losglück hatten Sie mit Ihren Vorrunden-Gegnern Dänemark, Serbien und England wirklich nicht.
Ceferin: Ja, das ist eine sehr starke Gruppe. Aber wir spielen auch gut. Allein, um sich zu qualifizieren, muss man schon etwas können. Und der Charme des Fußballs besteht ja darin, dass David immer Goliath schlagen kann. Italien ist in der WM-Qualifikation an Nordmazedonien gescheitert. Alles ist möglich! Deutschland hat bei dieser EM deutlich mehr Druck als Slowenien.
Frage: Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft?
Ceferin: Ich habe schon zu einigen Freunden gesagt: Keine Ahnung warum, aber ich halte Deutschland für einen der Topfavoriten. Sie haben ziemlich lausig gespielt in den letzten Jahren. Aber sie haben ein gutes Team. Und seit dem Testspiel gegen Frankreich sehe ich auch einen anderen Spirit. Ich sage immer: Unterschätze niemals Spanien. Und dann hast du immer Kroatien, Belgien, die Niederlande, vielleicht Dänemark. Aber Deutschland, Frankreich, England und Portugal: Das sind meiner Meinung nach die Favoriten bei dieser EM.
Frage: Teilen Sie die Befürchtung, dass junge Menschen das Interesse an Fußball und an großen Sport-Ereignissen im Fernsehen zunehmend verlieren?
Ceferin: Ich höre das immer wieder, dass die junge Generation den Fußball angeblich nicht mehr so verfolgt. Aber mehr und mehr jüngere Menschen spielen Fußball und gucken Fußball. Und wir haben auch Daten, die nahelegen: Die Zeiten, in denen Kinder sich angeblich nur noch mit dem Computer beschäftigen und keinen Sport treiben, ändern sich langsam. In meiner Heimat Slowenien spielen mehr als 70 Prozent aller jungen registrierten Sportler Fußball. Das EM-Finale 2021 zwischen England und Italien haben in den USA mehr Leute gesehen als die NBA-Finals. Ich mache mir also keine Sorgen über den Fußball. Wir dürfen nur dem großen Geld niemals erlauben, ihn zu kaufen und zu zerstören.
Frage: Wie lange wird der Fußball Ihrer Meinung nach noch seine eigenen Regeln bestimmen und seine eigenen Sportgerichts-Urteile fällen können? Der Europäische Gerichtshof hat sich bereits mit dem Streit um die Super League beschäftigt. In Deutschland untersucht das Bundeskartellamt die sogenannte 50+1-Regel.
Ceferin: Ich möchte keine einzelnen Gerichtsentscheidungen kommentieren. Aber es ist wirklich ein Problem, dass in Europa mehr und mehr Regierungen in den Sport eingreifen wollen. Und dieser Schuss wird nach hinten losgehen. Der Fußball ist so stark wegen unseres Systems. Du kannst von der vierten in die dritte und bis in die erste Liga aufsteigen und dich dann dort für jeden europäischen Wettbewerb qualifizieren. Wenn das nur noch etwas für Eliten ist, dann ist der Fußball weg. Und deshalb sage ich: Das Sport-System funktioniert seit 100 Jahren. Sport zu organisieren, ist etwas anderes als Pepsi-Cola oder Coca-Cola zu verkaufen. Alle sagen zwar immer: Ihr habt so viel Geld. Aber wir verteilen 97 Prozent unserer Einnahmen wieder in den Fußball um. Sport fördert die Gesundheit und vermittelt Kindern Werte. Er sollte also gesondert behandelt werden. Und als Anwalt denke ich: Sportrecht und europäisches Recht sind kompatibel. Europa ist gerade nicht in einer fantastischen Situation. Die Regierungen Europas haben sich um so viele Probleme zu kümmern – sie sollten nicht auch noch in den Sport hineinregieren.
Frage: Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die EM-Teilnahme der Ukraine? Als starkes Zeichen? Oder macht Ihnen das Sorgen wegen der Sicherheit?
Ceferin: Da gibt es keine Sicherheitsbedenken. Das Wichtigste ist doch: Wer sich qualifiziert hat, sollte auch bei der EM mitspielen. Und das ukrainische Team spielt einen beeindruckenden Fußball. Als Team sind sie richtig stark. Sie können eine der Überraschungen dieser Euro werden, man weiß nie.
Frage: Gibt es irgendeinen Druck auf Sie oder eine Diskussion darüber, russische Teams trotz des Angriffs auf die Ukraine wieder bei UEFA-Wettbewerben zuzulassen?
Ceferin: Es gibt keinen Druck und wir hatten nie einen Druck, sie wieder zuzulassen. Eigentlich bin ich gegen jeden Boykott. Aber in diesem Fall mussten wir das nach dem Kriegsbeginn einfach tun. Und wir gehörten zu den Ersten, die es taten. Ich glaube nicht, dass der Fußball in diesem Fall viel helfen kann. Aber jeder von uns kann etwas tun.
Frage: Ein solcher Einfluss muss ja nicht aus Russland selbst kommen. Gibt es Verbände innerhalb der UEFA, die die Russen gern wieder dabeihätten?
Ceferin: Wir haben schon darüber diskutiert, ob man die russischen Jugendteams nicht wieder bei unseren Wettbewerben zulassen sollte. Denn warum sollten Kinder davon betroffen sein, die in ihrem Land noch nicht zur Wahl gehen können? Aber im Moment gibt es dafür keinen Weg, weil einige Verbände da unter einem starken Einfluss ihrer Regierungen stehen. Ich sage trotzdem: Kinder werden in Russland gerade unter der Propaganda großgezogen, dass wir sie nicht mögen, wir sie hassen und nicht akzeptieren. In dem Moment, in dem sie hierherkommen und hier vielleicht andere 15- oder 16-Jährige aus Deutschland, Slowenien oder sonst woher treffen, würden sie das vielleicht anders sehen. So aber wird gerade eine gesamte Generation in Russland dazu erzogen, noch mehr zu hassen. Die gesamte Situation in Europa ist beängstigend. Sie macht mir Angst.
Frage: Ändert das die Haltung der UEFA zu politischen Statements? Die gesamte WM in Katar wurde von diesem Thema begleitet. Und auch ihr Verband wurde bei der EM 2021 viel kritisiert, als er eine Beleuchtung des Münchner Stadions in den Regenbogen-Farben verbot.
Ceferin: Ich hoffe, die Politik hat daraus gelernt. Nämlich, dass sie nicht in Angelegenheiten des Fußballs eingreifen sollte. Wenn sie uns wie 2021 dazu auffordert, gegen die Regierung eines Mitglieds der Europäischen Union zu protestieren, dann fordert sie uns eindeutig dazu auf, eine politische Situation zu beeinflussen. Wir werden uns aber umgekehrt nie in politische Fragen einmischen und bitten Politiker ganz bescheiden darum, das beim Sport auch nicht zu tun. Was den Umgang mit den Teams oder Spielern angeht, ist unsere Position klar: Wir werden nie bei Kapitänsbinden oder ähnlichen Dingen eingreifen. Wir erlauben alles, wir werden da nichts bestrafen. Wir respektieren die Meinungsfreiheit, solange das nicht offensiv ist.
Frage: Für Sie ist es die letzte EM als UEFA-Präsident. Was wollen Sie nach 2027 tun? FIFA-Chef werden? Den Fußball verlassen?
Ceferin: Wen ich eines gelernt habe in meinen 56,5 Jahren: Sprich nie zu viel über die Zukunft! Das Leben ist wunderbar und bietet dir eine Menge interessanter Dinge. Alles ist möglich. Alles! Aber jetzt liegt mein Fokus auf der EM.
Frage: Was werden in den kommenden Jahren die größten Herausforderungen für den europäischen Fußball sein?
Ceferin: Die größte Herausforderung ist, Clubs vor der Übernahme durch Gruppen oder Hedgefonds zu bewahren, die keine transparente Besitzer-Struktur haben. Außerdem erschwert das Multi-Club-Ownership, die Eigentümerschaft an mehreren Vereinen, die Wahrnehmung des Fairplays. Und wir müssen dafür noch eine endgültige Lösung finden. Da das Interesse an Investments in den Fußball weiter wächst und diese Investitionen für das Wachstum des Sports essenziell sind, ist die Frage: Wie können wir so smart sein, dass wir diese Investments grundsätzlich zulassen? Aber dabei aufpassen, dass es den Sport nicht verletzt? Investoren müssen nach den Regeln spielen, aber das ist ein komplexes Thema. Wir haben nicht die Autorität von Strafverfolgungsbehörden. Wir können die Clubs nach Dokumenten fragen, aber wir können nicht ihre Computer beschlagnahmen, um ihre Aktivitäten zu untersuchen.
Zur Person: Der Slowene Aleksander Ceferin (56) arbeitete als Rechtsanwalt und Präsident des slowenischen Fußballverbands, ehe er 2016 zum UEFA-Chef gewählt wurde. 2019 und 2023 wurde er jeweils für vier Jahre bestätigt. 2027 plant er nicht noch einmal zu kandidieren.